Gestaltungsorientierter Ansatz – Design Science

Sinnbild Design Science Ein prototypischer Hunderoboter

Der gestaltungsorientierte Ansatz ist einer der Methoden der Wirtschaftsinformatik. In der Forschung heißt das: Wir bauen etwas (Software, ein IoT-System, einen Papier-Prototypen …), um daran Fragestellungen zu untersuchen. Dadurch gefundene innovative Lösungen vermehren das Wissen („How To“).

Dieser Beitrag ist Teil der Methoden der Wirtschaftsinformatik

14.12.2022

Gestaltungsorientierter Ansatz – das Ziel

Ziel des gestaltungsorientierten Ansatzes ist es, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie Dinge konstruiert oder entworfen werden können. Vom Brocke und andere haben dazu ein Framework vorgestellt. (vgl. vom Brocke/Hevner/Maedche 2020, S. 2).

Der gestaltungsorientierte Ansatz ordnet sich damit in das Methodenspektrum der Wirtschaftsinformatik ein.

Was den gestaltungsorientierten Ansatz in der Wirtschaftsinformatik auszeichnet

Der gestaltungsorientierte Ansatz in der Wirtschaftsinformatik adressiert bei  der Gestaltung von Informationssystemen für die Effektivität und Effizienz von Unternehmen. Im Gegensatz zu einem technologieorientierten Ansatz, bei dem der Fokus auf der Entwicklung und Implementierung von neuen Technologien liegt, geht es beim gestaltungsorientierten Ansatz darum, Informationssysteme so zu gestalten, dass sie die Ziele des Unternehmens unterstützen und ihm dabei helfen, sich erfolgreich im Wettbewerb zu behaupten. Das setzt auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsinformatikern und dem Adressaten, um sicherzustellen, dass die entwickelten Systeme auch tatsächlich den Bedürfnissen des Unternehmens entsprechen. Hierzu muss der Wirtschaftsinformatiker Kenntnisse in der Anwendungsdomäne erlangen.

 

Gestaltungsorientierter Ansatz im Kontext der Wirtschaftsinformatik

Die Wirtschaftsinformatik (WI) bedient sich aus Instrumenten aus Real-, Formal- und Ingenieurs-Wissenschaften, um Erkenntnisse zu gewinnen.

Im englischsprachigen Raum heißt Forschung in der Wirtschaftsinformatik „Information Systems Research“ (ISR) und arbeitet eher verhaltenswissenschaftlich. In Deutschland neigt die Wirtschaftsinformatik dazu, eher Prototypen zu erstellen und zu evaluieren. (Wilde / Hess 2007 S. 1), also „Design-orientiert“ oder gestaltungsorientiert.

Das gesamte Methodenspektrum der Wirtschaftsinformatik setzt sich im Schwerpunkt sechs aus Kern-Methoden zusammen, die zu 91% das Forschungsgeschehen dominieren (siehe auch Abb. 1). Die Angaben in Klammern zeigen die relative Anzahl an Nennungen in n=296 untersuchten Quellen:

  • argumentativ-deduktive Analysen (wie in den anderen Erzähl-Wissenschaften*) 35%
  • Fallstudien 16%
  • Prototypen bauen 13%
  • quantitative Querschnittssanalysen (Empirie) 10%
  • konzeptionell deduktiv 10%
  • formal deduktiv 7%

Balkendiagramm Häufigkeit der Methoden in der Wirtschaftsinformatik
Abb. 1: Wie oft werden Methoden eingesetzt (Stand 2007)

Eine Methode ist nach Wilde/Hess eins von beiden: Einerseits stellen Methoden der Informationssystem-Gestaltung (Entwicklungsmethoden) einen Untersuchungsgegenstand der WI dar, andererseits setzt die WI Forschungsmethoden als Instrument der Erkenntnisgewinnung ein. Der Methodenbegriff ist auf diesen Seiten hier näher beschrieben.

Die Methoden werden von Wilde/Hess in eine Portfolio einsortiert, dass hinsichtlich Formalisierungsgrad (qualitativ vs quantitativ) und Paradigma (Denkansatz, verhaltenswissenschaftlich vs. konstruktiv) unterscheidet (Abb. 2). Ein gestaltungsorientierter Ansatz ist am ehesten im Prototyping (Prototypen bauen) wiederzufinden. Nach der Einordnung in Abb. 2 ist Prototyping eher konstruktiv und qualitativ.

Abb. 2: Methoden der Wirtschaftsinformatik, nach Formalisierungsgrad und Paradigma geordnet.

Das Arbeiten mit einem gestaltungsorientierten Ansatz lässt sich in einem Prozess der designorientierten Forschung beschreiben.

Prozess der designorientierten Forschung (Design Science Research, DSR)

Design Science Research Framework nach Hevenr / vom Brocke / Maedche

Abb. 3: Prozess der gestaltungsorientierten Forschung (in Anlehnung an Hevner et al. 2004, S. 80, zitiert in vom Brocke et al. 2020

Das Sujét (bestehend aus Personen, Organisationen und Technologien) definiert eine Problemstellung , aus der wiederum Anforderungen an die Ausgestaltung einer Lösung abgeleitet werden.Oft wird von vorhandenen Lösungen ausgegangen und daraus eine neue Lösung für die jeweilige  Problemstellung kreiert (Abb. 1)

Der Prozess besteht aus sechs Phasen mit vier möglichen Eingangspunkten für dien Forschung (Abb. 2). Die sechs Phasen des Prozesses sind:

  1. Problemerkennung und -motivation
  2. Definition der Ziele für eine Lösung
  3. Entwurf und Entwicklung (eines technischen Demonstrators / Prototypen)
  4. Demonstration
  5. Bewertung
  6. Kommunikation

Die  vier mögliche Einstiegspunkte für die Forschung sind:

  1. Problem-zentrierte Initiierung
  2. Ziel-zentrierte Lösung
  3. Entwurfs- und Entwicklungs-zentrierte Initiierung
  4. Kunden- bzw. Kontextbezogene Initiierung.

Die Phasen und Einstigspunkte werden im Folgenden detaillierter beleuchtet.

Prozessphase 1 Problemidentifizierung und Motivation

In der ersten Phase des Prozesses wird das Problem definiert und die Lösungssuche begründet: Diese Aktivität definiert das spezifische Forschungsproblem und rechtfertigt den Wert einer Lösung. Die Begründung des Wertes einer Lösung erfüllt zwei Zwecke: Sie motiviert den Forscher und die Zielgruppe der Forschung, die Lösung zu verfolgen, und sie hilft der Zielgruppe, das Verständnis des Forschers für das Problem zu schätzen. Zu den Ressourcen, die für diese Aktivität benötigt werden, gehören Kenntnisse über den Stand des Problems und die Bedeutung seiner Lösung.

Prozessphase 2 Zieldefinition für eine Lösung

In der zweiten Phase des Prozesses wird aus der Problemstellung die Zielsetzung abgeleitet: Die Ziele können quantitativ sein, z. B. in Bezug auf die Bedingungen, unter denen eine wünschenswerte Lösung besser wäre als die derzeitige, oder qualitativ, z. B. eine Beschreibung, wie ein neues Artefakt Lösungen für bisher nicht behandelte Probleme unterstützen soll. Die Ziele sollten rational aus der Problemspezifikation abgeleitet werden.

Prozessphase 3 Entwurf und Entwicklung

Die dritte Phase des Prozesses ist die die Erstellung des Artefakts. Dabei ist ein Artefakt ein „jegliches gestaltetes Objekt, in welchem ein Beitrag zur Forschung eingebunden ist“. Oft wird das Artefakt eine Software (Prototyp, Demonstrator) sein, die in irgendeiner Weise das Problem löst. Ein Beispiel kann der Nachweis der Machbarkeit sein.

Prozessphase 4 Demonstration

Diese Aktivität demonstriert die Verwendung des Artefakts zur Lösung eines oder mehrerer Fälle des Problems. Dies kann in Form von Experimenten, Simulationen, Fallstudien, Beweisen oder anderen geeigneten Aktivitäten geschehen.

Prozessphase 5 Bewertung / Evaluation

Die Evaluation misst, wie gut das Artefakt eine Lösung des Problems unterstützt. Diese Aktivität beinhaltet den Vergleich der Ziele einer Lösung mit den tatsächlich beobachteten Ergebnissen aus der Verwendung des Artefakts im Kontext. Je nach Art des Problembereichs und des Artefakts kann die Bewertung viele Formen annehmen. Am Ende dieser Aktivität können die Forscher entscheiden, ob sie zu Schritt drei zurückkehren und versuchen, die Effektivität des Artefakts zu verbessern, oder ob sie mit der Kommunikation fortfahren und die weitere Verbesserung späteren Projekten überlassen.

Prozessphase 6 Kommunikation

Hier werden alle Aspekte des Problems und des entworfenen Artefakts an die relevanten Interessengruppen (Stakeholder) kommuniziert. Je nach den Forschungszielen und der Zielgruppe, z. B. Fachleute aus der Praxis, werden adressatenadäquate Kommunikationsformen eingesetzt.

Grafik Prozessmodell für Design Science Research

Abb. 4: Prozess der gestaltungsorientierten Forschung (in Anlehnung an Pfeffers et. al. 2008)

Operationalisierung des DSR-Ansatzes

Zur effektiven Planung, Koordination und Kommunikation von Projekten im Bereich der gestaltungsorientierten Forschung und zur Unterstützung der Methode kann ein  Raster wie in Abb. 3 (vgl. Business Model Canvas oder St. Galler Startup-Navigator) verwendet werden.

Problem:


Forschungsprozess:


Lösungsansatz:


Vorhandenes Wissen:


Konzept:


neues Wissen / Lernzuwachs:


Abb. 5: Rasterdarstellung für ein Design-Research-Projekt (DSR-Procect) in eigener Darstellung (Anlehnung an vom Brocke et. al. 2020 S. 10)

Das Raster beschreibt die sechs Dimensionen eines Projekts, das den gestaltungsorientierten Ansatz verfolgt.

In der Dimension „Problem“ wird beschrieben, für welche Problemstellung das Projekt eine mögliche Lösung sucht.

Für die Dimension „Vorhandenes Wissen“ (Input Knowledge) wird beschrieben, welches Vorwissen für die Durchführung des Projekts benötigt wird. Vom Brocke unterscheidet zwischen Ω-Wissen and λ-Wissen . Ω-Wissen umfasst beschreibendes, erklärendes oder vorhersagendes Wissen,  λ-Wissen wertendes oder auch festlegendes Wissen.

Die Dimension des Forschungsprozess (Research Process) beschreibt die geplanten Aktivitäten. Vom Brocke et al. empfehlen, Gestaltung und Evaluierung gemeinsam zu planen und zu dokumentieren.

Die Dimension der Konzepte (Concepts) beschreibt den Konzeptionellen Rahmen hinter der Gestaltung.

Die Dimension „Lösung“ (Solution) beschreibt nun ein Artefakt durch „Darstellung als Konstrukt, Modell, Methode, Instanziierung oder Entwurfstheorie“ (vom Brocke/Hevner/Maedche 2020, S. 11).

In der Dimension „neues Wissen / Lernzuwachs“ (Output Knowledge) wird beschrieben, welches Wissen durch das Projekt produziert wird  Sollte das Projekt im Schwerpunkt Design-Entitäten produzieren, „stellt die Beschreibung solcher Entitäten kein [Design-]Wissen dar, da nur die Ergebnisse der Bewertung der Design-Entität im Kontext [Design-]Wissen ausmachen“ (vom Brocke/Hevner/Maedche 2020, S. 11). Die Dokumentation der Ergebnisse stellen das neue Wissen dar.

Praktische Anwendung mit dem gestaltungsorientierten Ansatz

Forschungsfragen

Forschungsfragen die mit „Wie kann…“ anfangen ähnlich

F1: „Wie kann ein Anwendungssystem gestaltet werden, dass die Einarbeitungszeit mehr als 20% unterhalb der für am Markt verfügbare Systeme bleibt“

oder

F2: „Ist es möglich und wie baut man ein Dashboard für ein IoT-Sensorsystem, das alle wichtigen Parameter auf einem Smartphone-Bildschirm in unter drei Sekunden erfassen lässt“

eignen sich besondern für den gestaltungsorientierten Ansatz.

Operationalisierung

Die Operationalisierung ist ist denkbar einfach: Sie bauen einen technischen Demonstrator zusammen, heißt oft, Sie programmieren etwas, und probieren dann aus, ob das Artefakt in der gwünschten Art und Weise funktioniert.

Die folgende Übung dient dazu, zunächst eine Idee zu entwickeln. Ein wesentlchen Bestandteil wäre das Artefakt, das dann in einem gestaltungsorientierten Ansatz „gebaut“ wird.

Übung zum DSR:

=====

Versuchen Sie für eine möglichst lebensweltliche, selbstausgedachte Fragestellung die Rasterdarstellung nach Abb. 5 zu füllen.
(Beispiel: "Wie könnte der Katzen-Kratzbaum in einer digitalen Zukunft aussehen?")
Wenn Ihnen dabei zu einem Kasten nichts einfällt - schreiben Sie hinein, wie Sie denn an die Erkenntnis kommen könnten oder was Ihnen fehlt.

In einem zweiten Schritt könnten Sie nun einen solches Artefakt bauen und testen, ob das Ihren Erwartungen entspricht. Oder Sie bauen einen „Papierprototypen“, den Sie vielen Menschen zeigen und diese dann befragen, ob sie das haben möchten. Das führt zur Implementierungsübung.

Übung zum gestaltungsorientierten Ansatz: 

===== 

Bauen Sie einen Prototypen des digitalen Katzen-Kratzbaums. Das kann eine handschriftliche Skizze sein, die Sie mit dem Smartphone abfotografieren. Damit viele Menschen das sehen können, bauen Sie eine HTML-Seite, in der das Foto eingebettet ist und mit der Sie die Menschen bitten, Ihnen via WhatsApp einen Kommentar zu Ihrer Idee zukommen zu lassen (als Bewertung / Evaluation).

Alternative Implementierung:
Zeichnung mit CSS-Bordmitteln (Kratzbaum aus div-Containern)
oder
Zeichnung als SVG (Scalable Vector Grafics).

Quellen

vom Brocke, Jan; Hevner, Alan, Maedche, Alexander (2020) Introduction to Design Science Research. in: vom Brocke, Jan; Hevner, Alan, Maedche, Alexander (Hrsg.) Design Science Research, Cases. DOI https://printkr.hs-niederrhein.de:2062/10.1007/978-3-030-46781-4

// Der Gesattungsorientierte Ansatz (Design Science Research, DSR) ist ein Problemlösungsparadigma, das das Wissen durch die Schaffung innovativer Artefakte zu erweitern versucht. Ziel ist, (konkrete) Probleme zu lösen und die Umgebung, in der sie eingesetzt werden, verbessern. Zu den Outcomes des DSR gehören sowohl die neu entworfenen Artefakte als auch das Gestaltungswissen (Design Knowledge, DK). //

Hevner, Alan; March, S; Park, J.;Ram, S (2004) Design Science in Information SystemsResearch. in: MIS Quarterly 28 -1 S.75-100

Peffers, K., Tuunanen, T., Rothenberge, M., & Chatterjee, S. (2008). A design science research methodology for information systems research. Journal of MIS, 24(3), 45–77.

vom Brocke, Jan; Hevner, Alan; Maedche, Alexander (Edtrs.) (2020) Design Science Research – Cases. Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-46781-4

Wilde, Thomas; Hess, Thomas (2007) Forschungsmethoden in der Wirtschaftsinformatik – Eine empirische Untersuchung. Wirtschaftsinformatik 49 (2007) 4 S. 280 – 287

Titelbild in Anlehnung an Spot Mini, Boston Dynamics, hier auf youtube: https://youtu.be/gvzljfK-PiU

Erläuterungen

Begriffe

Abb. 1: Rigor meint: eigentlich Härte oder Strenge, hier eher wohl im Sinnen von „qualitativer Belastbarkeit“

Als „Erzähl-Wissenschaften“ bezeichne ich hier diejenigen Lehren, die zu einem Drittel damit beschäftigt sind, darüber nachzudenken, ob sie denn und warum sie überhaupt eine Wissenschaft sein könnten. Physik und Mathematik haben es da beispielsweise einfache und benötigen das historisch nicht.

Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen dem gestaltungsorientierten Ansatz und Design Science

Der gestaltungsorientierte Ansatz in der Wirtschaftsinformatik und Design Science sind zwei methodische Vorgehensweisen, die sich beide mit der Gestaltung von Informationssystemen befassen. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen.

Der gestaltungsorientierte Ansatz in der Wirtschaftsinformatik betont die Bedeutung der Gestaltung von Informationssystemen für die Effektivität und Effizienz von Unternehmen. Dabei geht es vor allem um die Integration von Geschäftsprozessen und die Nutzung von Datenanalysen, um die Bedürfnisse und Ziele des Unternehmens zu unterstützen.

Design Science hingegen ist ein interdisziplinärer Ansatz, der sich mit der Erforschung und Entwicklung von Designmethoden und -prozessen befasst und bei dem verschiedene Disziplinen wie Informatik, Psychologie, Soziologie und Kunst zusammenarbeiten, um neue Designmethoden und -prozesse zu entwickeln. Der gestaltungsorientierte Ansatz in der Wirtschaftsinformatik setzt auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsinformatikern und „Kunden“ z.B. in der Evaluation,  um sicherzustellen, dass die entwickelten Systeme den Bedürfnissen des Unternehmens entsprechen. Design Science hingegen ist ein interdisziplinärer Ansatz.

Schlussendlich kann der gestaltungsorientierte Ansatz als Teilphase im Design Science Research gesehen werden – dann, wenn es darum geht, durch Prototypen zu Erkenntnissen zu gelangen.

 

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