Ein Whitepaper mit dem Titel Wägezellen für Trachtwaagen – technische und mathematische Grundlagen ist als PDF auf den Ergebnis-Seiten des Projektes Steel5Bees zum Download bereitgestellt. Dieser Beitrag ist nahezu wortgleich – zum direkt lesen.
13.03.2025
1 Motivation
Eine Trachtwaage steht bei vielen Imkern auf der Wunschliste. Einige Imker bauen sich Trachtwaagen selbst. Bei preiswerten kommerziellen Trachtwaagen (Brell 2021b) und bei Eigenentwicklungen (Creutz 2019, S. 50ff) bleibt die Genauigkeit zuweilen hinter den Erwartungen zurück, zudem zeigen Trachtwaagen, die noch im Haus gut funktionierten, draußen am Stand unerklärliche Schwankungen, die teilweise temperaturabhängig sind. Der Beitrag soll die Hintergründe beleuchten und Methoden zur Kalibrierung und zur Temperaturkompensation an die Hand geben.
2 Technik der Wägezellen
Wägezellen für Trachtwaagen basieren i.d.R. auf Dehnungsmessstreifen. Dehnungsmessstreifen ändern ihren elektrischen Widerstand, wenn sie verformt werden. Eine Wägezelle besteht aus einem Trägerbauteil, darauf werden Dehnungsmessstreifen aufgeklebt. Die Verformung der Wägezelle durch das aufliegende Gewicht führt zu einer Widerstandsänderung in den aufgeklebten Dehnungsmessstreifen. Die Widerstandsänderung ist äußerst klein und stellt die Messtechnik vor Herausforderungen. Die Dehnungsmessstreifen einer Wägezelle sind daher oft zu einer Wheatstonschen Brücke (balkenförmige oder Plattform-Modelle, siehe Bosche (o.J)) oder einer Halbbrücke (sog. Flachzellen) verschaltet. Andere Physikalische Prinzipien der Gewichtsmessung wie z.B. über Resonanzen (Saitenschwingerwaage, Stoller 1994) oder dem piezoelektrischen Effekt sind bei Trachtwaagen unüblich.
Wägezellen für Trachtwaagen sind entweder balkenförmige Gebilde (Plattform-Wägezellen, vgl. Bosche(o.J)), die eine vollständige Wheatstonesche Brücke beinhalten, oder sogenannte Flachzellen mit Halbbrücken, die zu zweit oder zu viert in der Waage verschaltet werden (Creutz 2019, S 50 ff., Brell 2021a). Ein typischer Einsatzort für Flachzellen sind Personenwaagen für das Badezimmer.
Balkenförmige Wägezellen werden von einigen Trachtwaagen-Herstellen auch zu Mehreren (parallel) verschaltet. Ein solcher Aufbau hat zunächst mechanische Vorteile, bringt jedoch zusätzliche Schwierigkeiten bei der Konzeption der Auswertung und der Linearität.
Abb. 1 Wheatstonesche Brückenschaltung mit zwei Halbbrücken (nach Brell 2021a)
3 Technik der Analog-Digitalwandlung
Da das elektrische Signal aus Wägezellen sehr klein ist, wird es vor der Analog-Digital-Wandlung verstärkt. Ein typischer Vertreter eines kombinierten Verstärkers und Analog-Digitalwandlers, der auf eine Brückenschaltung ausgelegt ist, ist der HX711, für den es fertige PCBs in verschiedenen Ausprägungen gibt.
Der HX711 kann das Signal aus den Wägezellen um die Faktoren 128, 64 und 32 (einstellbar) verstärken. Aus dem digitalen Ausgang kommt ein serielles Signal mit einer Breite von 24 Bit. Die Rohmesswerte können somit 2^24= 16.777.216 Werte darstellen; da negative Werte möglich sind, liegt der Wertebereich zwischen -8.388.608 und +8.388.607
Der HX711 kann bis zu 80 Messwerte pro Sekunde liefern. Die Messwerte sind i.d.R. verrauscht, so dass sich die Software um eine geeignete Glättung kümmern muss. Meist geschieht dies durch Median- oder Mittelwertbildung über mehrere (7 bis 100) Messwerte. Das Rauschen vermindert auch die Auflösung des HX711.
4 Zusammenhang des Gewichts mit den digitalen Messwerten, Kalibrierung
4.1 Analyse und Messungen an Wägezellen
Da die Brücken in den Wägezellen immer etwas verstimmt sind, geben sie auch schon ohne Gewichtsbelastung einen von 0 abweichenden Messwert, so als würde ein Gewicht aufliegen. Bei den hier getesteten Aufbauten lagen die Messwerte ohne aufliegendes Gewicht zwischen -500.000 und +500.000.
Je nach Aufbau der Waage ist der Zusammenhang zwischen den digitalen Messwerten und dem Gewicht annähernd linear.
So kann z.B. eine Auflage von knapp 138 kg zu einem Roh-Messwert von -5.656.979 führen. In Abb. 1 ist für untersuchte Wägezellen der Zusammenhang des Gewichts (hier in Gramm) und dem Messwert gezeigt.
Abb. 1 Zusammenhang zwischen Gewicht in Gramm und Messwert. Es sind jeweils Regressionen für ein lineares Modell und ein Modell 2ter Ordnung gerechnet. Das lineare Modell erklärt die Varianz bereits zu R2=99,68%. Der Proportionalitätsfaktor umgerechnet auf Kilogramm wäre a=0,0000265, als Offset weist die lineare Regression einen Wert von b = 13,707kg aus. Die Wiegeeinrichtung zeigt also leer und unbelastet einen Wert, der bereits 13,707kg entspricht.
Zur Kalibrierung werden nun mehrere bekannte Testgewichte aufgelegt und der Zusammenhang zwischen Messwerten und Gewicht durch Regression bestimmt. Die Vorhersagegenauigkeit, gemessen durch das Bestimmtheitsmaß R2, steigt, wenn statt einer linearen Regression ein Polynom z.B. 2ter Ordnung gewählt wird. Die Kalibrierung und die Umwandlung der Messwerte in ein Gewicht wird allerdings einfacher, wenn man mit einem linearen Modell arbeitet – in dem Fall lässt sich eine Waage mit nur zwei Gewichtsmessungen mit bekannten Gewichten kalibrieren.
4.2 Lineare Kalibrierung mit zwei Gewichten
Sei der lineare Zusammenang zwischen dem Gewicht (physikalisch korrekter: der Masse) kg und dem Messwert M wie in Gleichung (1) gegeben:
(1) kg = a * M + b
mit
a = Proportionalitätsfaktor zwischen Gewicht und Messwert und
b = Offset, heißt Verschiebung des Nullpunktes.
Beispiel I - Kalibrierung: Mit zwei bekannten Gewichten 10kg und 20kg werden folgende Messwerte erzielt: Messung Messwert Gewicht [kg] 1 800.000 10 2 1.200.000 20
Der Proportionalitätsfaktor ist dann
a = (20-10)/(1.200.000-800.000)=0,000025 und der Offset ist
b = kg – a * M = 20 – 0,000025 * 1.200.000 = -10kg
Ein unbekanntes Gewicht lässt sich durch Auflage auf die Waage und mit Gleichung (1) berechnen.
Beispiel II - Messung unbekanntes Gewicht: Sei der Messwert 1.456.778, dann ist das Gewicht kg= a*M+b=0,000025 * 1.456.778 + (-10) = 26,419 kg
Die Grammangabe wird aus mehreren Gründen prinzipiell ungenau sein. Erstens haben die Wägezellen eine begrenzte Genauigkeit, zweitens ist Gleichung (1) nur eine lineare Näherung. Erschwerend kommt hinzu, dass die Verstimmung der Brücke und damit der Messwert nicht nur vom aufgelegten Gewicht abhängt, sondern auch von der Temperatur. Der HX711 zeigt eine nur leichte, im Rahmen dieser Untersuchung vernachlässigte Temperaturabhängigkeit. Eine weitaus größere Temperaturabhängigkeit zeigen allerdings die handelsüblichen Wägezellen.
5 Temperaturabhängigkeit der Wägezellen
Die Temperaturabhängigkeit der Wägezellen ist im Gegensatz zur Gewichtsabhängigkeit klein. Sie ist nicht linear, jedoch liefert eine lineare Korrektur bereits eine gute Verbesserung der Messgenauigkeit insgesamt. Abb. 2 zeigt die Temperaturabhängigkeit für untersuchte Wägezellen.
Abb. 2. Temperaturabhängigkeit von Wägezellen. Als Beispiel wurden zwei Flachzellen als Vollbrücke geschaltet. Die Zellen befanden sich in einem Edelstahl-Prototypen einer Waage, der Temperatursensor und der HX711 waren nahe der Wägezellen angebracht. Die lineare Regression ergibt bereits einen Zusammenhang, der mit R2=99,49% die Variation erklärt. Zu erwarten ist, dass ein Polynom höherer Ordnung bei Messwerten außerhalb des untersuchten Bereichs zu starken Abweichungen („Fantasiewerten“) führt.
Als linearen Ansatz kann die Gleichung (2) angenommen werden:
(2) Mw = M + m (T – T0)
mit
M = Messwert aus dem HX711,
Mw gewünschter „wahrer“ Messwert,
m=Proportionalitätsfaktor für die Temperaturabhängigkeit,
T = Temperatur der Wägezelle bei der Messung,
T0 = Referenztemperatur. Idealerweise wählt man für die Referenztemperatur T0 – die Temperatur, bei der die Wägezelle kalibriert wurde. Oft wird das eine Zimmertemperatur von 22°C sein, während eine Trachtwaage draußen auch einmal bei -5°C stehen kann.
Beispiel III - Temperaturkompensation: Ohne Gewichtsauflage werden bei Zimmertemperatur und im Kühlschrank folgende Messwerte erzielt: Messung Messwert Temperatur [°C] 1 401.100 22,0°C 2 405.880 7,0°C
dann ist der Proportionalitätsfaktor für Gleichung (2)
m = (401.100 – 405.880) / (22,0 – 7,0) = -318,7
Den temperaturkompensierten „wahren“ Messwert Mw erhält man dann mit folgenden Annahmen:
T= 29,5°C, gemessener Wert
M= 3.400.550, dann ist der temperaturkompensierte „wahre“ Wert
Mw = M + m * (T-T0) = 3.400.550 + (-318,7) * (29,5 – 22,0) = 3.397.710 (gerundet)
Mit diesem Wert Mw wird nun das Gewicht mit Gleichung (1) ermittelt:
kg= a*Mw+b=0,000025 * 3.397.710 + (-10) = 74,943 kg.
Mit dem nicht temperaturkompensierten Wert wäre das
kg= a*M+b=0,000025 * 3.400.550 + (-10) = 75,014 kg.
Die Abweichung ist hier im Beispiel nicht groß, je nach Aufbau der Waage, den verwendeten Wägezellen und den Temperaturdifferenzen z.B. im Winter können auch über 2 kg Abweichung beobachtet werden.
6 Gesamt-lineares Modell für die Umrechnung
Aus den vorangegangenen Überlegungen lässt sich nun ein lineares Gesamtmodell ableiten, das die Temperaturabhängigkeit berücksichtigt und eine Umrechnung des Messwertes in ein Gewicht ermöglicht.
(3) kg = a * Mw + b = a*M + a*m*(T-T0) +b
Die Faktoren a und m und der Offset b sind wägezellen-abhängig. Bei einer gegebenen Wägezelle sind die Faktoren a und m und der Offset b zu bestimmen.
6.1 Vorgehen zur Bestimmung der Faktoren für die Kalibrierung und der Temperaturkompensation
Im ersten Schritt wird einer festen und bekannten Temperatur mit zwei bekannten Gewichten der Kalibrierungsfaktor a bestimmt. Dazu werden die Gewichte aufgelegt und zusammen mit den zugehörigen Messwerten in Form einer Tabelle notiert.
Die Berechnung des Kalibrierungsfaktors a erfolgt dann wie im Beispiel I.
Im zweiten Schritt wird der Offset b aus (irgend-) einer Tabellenzeile berechnet, ebenfalls nach Beispiel I.
Im dritten Schritt wird der Temperaturkompensationsfaktor m ermittelt. Dazu wird die unbelastete Waage zwei unterschiedlichen Temperaturen (Zimmertemperatur, Kühlschrank) ausgesetzt und die Messwerte in einer Tabelle festgehalten.
Die Berechnung des Temperaturkompensationsfaktors m erfolgt dann wie im Beispiel III.
6.2 Benötigte Daten für eine Trachtwaagenparametrisierung (Kalibrierung und Temperaturkompensation)
Um die Messwerte einer Wägezelle z.B. durch Excel oder einer eigenen Software in ein Gewicht umzurechnen, sind zur Kalibrierung und zur Temperaturkompensation folgende Werte (zwei Gewichte und drei Temperaturen) erforderlich:
Gewicht 1 und dazu passend Messwert M1a
Gewicht 2 und dazu passend Messwert M2a
Temperatur T0 (Temperatur bei diesen Messungen)
Temperatur T1 und dazu passend Messwert M1m
Temperatur T2 und dazu passend Messwert M2m
Dabei kann Gewicht 1 auch 0 kg sein, T1 kann auch identisch zu T0 sein.
7 Anhang
7.1 Quellen
Bosche (o.J) Plattform-Wägezellen H40A. online ressource https://www.bosche.eu/p/plattform-waegezellen-h40a/100-300-10-88, zuletzt abgerufen 13.03.2025
Brell, Claus (2023) Was ist eigentlich Temperatur und wie misst man sie? online ressource, https://cbrell.de/blog/was-ist-eigentlich-temperatur/
Brell, Claus (2021a) Wägezelle – wie funktionieren preiswerte Personenwaagen-Zellen? online ressource, https://cbrell.de/blog/waegezelle-wie-funktionieren-preiswerte-personenwaagen-zellen/
Brell, Claus (2021b) Digitale Waagen zum Selbstbau. In: bienen&natur Sonderheft Waldtracht 1/2021, S. 65
Creutz, Ronald (2019) Entwurf und Implementierung eines IoT Systems zur Informationsgewinnung in der Agrarwirtschaft (hier: Imkerei) unter Nutzung von LoRaWan. Diplomarbeit, Mittweida, online verfügbar unter https://monami.hs-mittweida.de/frontdoor/deliver/index/docId/12779/file/Diplomarbeit-RonaldCreutz-2019-10-16.pdf, zuletzt abgerufen 13.03.2025
Kistler (o.J) Piezo vs. DMS. online ressource https://www.kistler.com/DE/de/piezo-vs.-dms/C00000145, zuletzt abgerufen am 13.03.2025
Stoller, Beate (1994) Elektromechanische Waage mit Saitenschwinger, Patentschrift, Inhaber Toledo GmbH, Schweiz. online verfügbar https://patentimages.storage.googleapis.com/98/72/10/2bf96be977a5d9/CH684441A5.pdf, zuletzt abgerufen 13.03.2025
7.2 Danksagung
Diese Unterlage entstand im Rahmen des Projektes Steel4Bees. Weitere Informationen zum Projekt gibt es unter http://steel4bees.de.
Das Projekt Steel4Bees wird im Förderprogamm IGP vom Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz von 01.10.2024 bis 30.09.2025 gefördert.