Nutzwertanalyse praxisorientiert

Bild, das eine Nutzwertanalyse symbolisiert. Hier dient es dazu, aus mehreren Geschenken das schönste auszuwählen. Dazu verwenden mehrere Personen die Nutzwertanalyse

Die Nutzwertanalyse kann „Äpfel mit Birnen“ vergleichen. Die Nutzwertanalyse erlaubt es, qualitative und/oder schwer fassbare Entscheidungsalternativen gegeneinanderzustellen und so auch unter Unsicherheit eine pseudo-objektive Auswahlentscheidung treffen zu können.

20.12.2022

Definition der Nutzwertanalyse

Die Nutzwertanalyse  ist eine Bewertungsmethode für Entscheidungsalternativen.

Historie der Nutzwertanalyse

Die Nutzwertanalyse stammt aus den Ingenieurwissenschaften, um z.B. eine Nutzen-Kosten-Analyse zu unterstützen. Ursprünglich hieß sie „utility analysis“ und wurde in den 1960ern in den USA entwickelt.  Christof Zangenmeister  brachte die Methode 1970  nach Deutschland.

Ziel der Nutzwertanalyse

Ziel der Nutzwertanalyse ist es, komplexe Entscheidungsfindungen in Auswahlsituationen zu vereinfachen und dem Nutzer beim Treffen von qualitativen Entscheidungen zu unterstützen. Beispielfragestellungen sind:

  1. In welches Land fahre ich dieses Jahr in Urlaub?
  2. Wen soll ich heiraten?
  3. Welchen 3D-Drucker soll ich kaufen?
  4. Ist es vorteilhafter, ein ERP-System zu kaufen oder zu mieten?

Anwendungsfelder für die Nutzwertanalyse

Die Nutzwertanalyse ist eine qualitative Analysemethode der Entscheidungstheorie und unterstützt die Entscheidungsfindung bei komplexen Problemstellungen. Die Nutzwertanalyse setzen Sie in den Anwendungsfeldern ein, in denen Sie eine Beurteilung auf Basis mehrerer  qualitativer Kriterien („Äpfel und Birnen“), Zielen oder Bedingungen treffen müssen. Anwendungsfelder für die Nutzwertanalyse sind

  • Beschaffung / Einkauf
  • Einstellung von Mitarbeitern / HR
  • Auswahl von Betriebsmitteln, Fahrzeugen etc.

 

Methodisches Vorgehen bei einer Nutzwertanalyse

Die Nutzwertanalyse versucht dabei, nicht-quantitative Größen durch Umwandlung in quantitative Größen über ein Bewertungsschema vergleichbar zu machen.

Für eine Nutzwertanalyse durchlaufen Sie die folgenden Schritte:

  1. Festlegung der Entscheidungsvarianten
  2. Festlegung von Bewertungskriterien
  3. Gewichtung der Kriterien
  4. Festlegung des Bewertungsmaßstabs
  5. Bewertung
  6. Summierung und Auswahl

Abb. 1: Ablauf einer Nutzwertanalyse

1 Festlegung der Entscheidungsvarianten

Die verschiedenen, ausgewählten Varianten halten Sie in einer Liste fest.

Tipp: Verwenden Sie nicht zu viele Varianten. Für das Beispiel „Auswahl 3D-Drucker“ schauen Sie sich im Vorfeld fünf Drucker aus, die Ihren Preisvorstellungen entsprechen.

Für das Beispiel heißen die Drucker einfach 3D-1, 3D-2, 3D-3, 3D-4, 3D-5. Konkrete Drucker finden Sie z.B. mit eine Google suche wie „Liste der besten 3D-Drucker“ oder „Liste günstige 3D-Drucker

2 Festlegung von Bewertungskriterien

Formulieren Sie die Kriterien, anhand derer eine Entscheidung getroffen werden soll. Dies sind z.B. Anforderungen an das Produkt.

Tipp: Beschränken Sie sich auf eine Liste bis zu 10 Kriterien. Bei mehr Kriterien wird die Gewichtung aufwändig, bei der Bewertung verlieren Sie die Übersicht, jedes Kriterium trägt nur wenig zur Entscheidung bei und verliert an Relevanz und die Ergebnisse liegen zum Schluss alle dicht beieinander.

Für das Beispiel „Auswahl 3D-Drucker“ könnten die Kriterien lauten:

  1. Die Bedienung ist einfach
  2. Die Administration ist einfach
  3. Die Düsentemperatur ist hoch
  4. Die Druckbett-Temperatur ist hoch
  5. Der Drucker hat Autoleveling
  6. Der Drucker kann nachweislich PLA, PET, ABS drucken
  7. Das Betriebsgeräusch ist niedrig
  8. Der Drucker ist robust und toleriert Fehlbedienung
  9. Der Drucker sieht gut aus
  10. Es gibt Anleitungen und Tipps im Internet, der Drucker ist häufig eingesetzt

3 Gewichtung der Bewertungskriterien

Jedes Kriterium bekommt ein Gewicht in Form eines Prozentsatzes zugeordnet, der die Relevanz des Kriteriums für die Entscheidungsfindung wiedergibt. Die Gesamtsumme der Prozentsätze muss 100 % betragen. Bei z. B 5 Kriterien können Sie jedes gleich mit 20% gewichten. Ist ein Kriterium entscheidend, so geben Sie ihm ein Gewicht von 30%, dafür gewichten Sie ein anderes mit 10%. Für das Beispiel „Auswahl 3D-Drucker“ könnten Sie die Gewichte wie folgt festlegen:

Nummer Kriterium                                  Gewicht
1.     Die Bedienung ist einfach.                 20%
2.     Die Administration ist einfach.            20%
3.     Die Düsentemperatur ist hoch.              10%
4.     Die Druckbett-Temperatur ist hoch.         10%
5.     Der Drucker hat Autoleveling.              10%
6.     Der Drucker kann PLA, PET, ABS drucken.    10%
7.     Das Betriebsgeräusch ist niedrig.           5%
8.     Der Drucker toleriert Fehlbedienung.       10%
9.     Der Drucker sieht gut aus.                  5%
10.    Es gibt Anleitungen und Tipps im Internet, 10%
       der Drucker ist häufig eingesetzt

Abb. 2: Beispiel für Kriterien und Gewichte, hier für 3D-Drucker

Ideal ist es, wenn Sie mehrere Personen rekrutieren, die zum Einen den Kriterienkatalog abstimmen und zum anderen die Gewichte festlegen. Sie können das alleine machen, sollen sich dann jedoch der hohen Subjektivität bewusst sein.

4 Festlegung der Bewertungsskala

Die einzelnen Kriterien werden je Entscheidungsalternative mit Punkten bewertet. Die Bewertungsskala für die Punkte müssen Sie präzise beschreiben, so dass unterschiedliche Bewerter mit möglichst dem gleichen Verständnis der Bewertungsskala starten. Die Anzahl der unterschiedlichen Ausprägungen = Punkte sollten Sie nicht zu hoch wählen. Im einfachsten Fall wählen Sie eine dichotome Entscheidung mit zwei Punkte wie z.B. 0 = „trifft nicht zu“ und 1 = „trifft zu“. Ein guter Start ist eine vierstufige Skala 0 bis 3 mit z.B.

0 trifft nicht zu / sehr schlecht / unbrauchbar / nutzlos

1 trifft teilweise zu / eher schlecht / eingeschränkt brauchbar / teilweise nützlich

2 trifft größtenteils zu / eher gut / brauchbar / überwiegend nützlich

3 trifft vollständig zu / sehr gut / hervorragend brauchbar / äußerst nützlich.

Abb. 3: Beispiel einer vierstufigen Bewertungsskala

5 Bewerten

Die Kriterien fassen Sie mit der Bewertungskala einer Tabelle je Entscheidungsalternative zusammen. Zu jedem Kriterium bewerten Sie – besser ist es, die Bewertung durch mehrere Personen vornehmen zu lassen. Sie haben dann die Möglichkeit, das gesamte Ergebnis für jede bewertende Person zu betrachten und daraus geeignet eine Kennzahl (Mittelwert, Median) abzuleiten, oder Sie ermitteln bereits bei der Bewertung eine „mittlere“ Bewertung je Kriterium über alle bewertende Personen.

Tipps:
1. Um spezifische Präferenzen einzelner bewertenden Personen abzumildern empfehle ich,
a) bereits auf Ebene der einzelnen Kriterien die Bewertungen zu "mitteln" und
b) als Lagemaß für das "Mitteln" den Median zu nutzen.
2. Um später dichotomisieren zu können und auf jeden Fall ein erkennbares Ergebnis zu erwirken, empfehle ich eine vierstufige Skala mit "forced items", also ohne Mittelwert.

Abb. 4: Tipps für den Aufbau einer Nutzwertanalyse

Für das Beispiel „Auswahl 3D-Drucker“ könnte eine Bewertung für einen Drucker wie folgt aussehen. Dabei ist

Krit = Nummer des Kriteriums

Gew = Gewicht (wie stark trägt das Kriterium zur Entscheidung bei)

BEW = Bewertung in Punkten

Wert = Gew * BEW (gewichtete Punkte, die sann Summiert werden)

Für jede Druckeralternative kommen zwei Spalten BEW und Wert hinzu und liefern so eine Wertsumme. Im Beispiel sind zwei Drucker „3D-1“ und „3D-2“ aufgeführt. Der Drucker mit der höchsten Punktsumme wäre die Kaufempfehlung aus der Nutzwertanalyse.

 

Krit Gew BEW 3D-1 Wert 3D-1 BEW 3D-2 Wert 3D-2
1 20% 3 0,6 2 0,4
2 20% 2 0,4 2 0,4
3 10% 3 0,3 3 0,3
4 10% 3 0,3 2 0,2
5 5% 0 0,0 3 0,15
6 10% 2 0,2 3 0,3
7 5% 3 0,15 2 0,1
8 5% 1 0,05 2 0,1
9 5% 2 0,1 3 0,15
10 10% 3 0,3 2 0,2
Summe Gew: 100% Summe 1: 2,4 Summe 2: 2,3

Abb. 4: Tabelle für die Durchführung einer Nutzwertanalyse

Für eigene Experimente  ist hier die Tabelle aus Abb. 4 als Excel-Datei hinterlegt: Nutzwertanalyse-Beispiel

6 Summierung und Auswahl

Die Einzelgewichtungen werden summiert und somit ergibt sich die gewichtete Punktsumme pro Alternative. Die Alternative mit der höchsten Punktzahl entspricht den Anforderungen am besten. Im Beispiel ist das der Drucker „3D-1“ mit einer Punktsumme von 2,4.

 

Nutzwertanalyse und ihre Alternativen

Vor- und Nachteile der Nutzwertanalyse

Vorteile

Entscheidung ist nachvollziehbar und wirkt objektiv.

  • Die Entscheidungsfindung ist  dokumentiert.
  • Die Nutzwertanalyse kann einzeln (Ausnahme, n=1) oder mit mehreren Personen (bevorzugt) durchgeführt werden und als Diskussionsgrundlage dienen.

Nachteile

  • Die Bewertung ist individuell und subjektiv (n=1).Die Festlegung der Gewichtungen und die Vergabe von Punkten sind keine exakt messbaren Vorgänge, sondern von den Personen abhängig.
  • Bei sehr vielen Alternativen (mehr als 7) und/oder sehr vielen Bewertungskriterien (mehr als 10) sind die Bewerter überfordert.

Methodische Alternativen zur Nutzwertanalyse

Zur Nutzwertanalyse gibt es Alternativen, die in der folgenden, nicht abschließenden Liste gefasst sind.

  • Analytic Hierarchy Process AHP (Saaty, Thomas). Der AHP ist mathematisch anspruchsvoller und präziser, zwingt zum paarweisen Vergleich auch bei den Alternativen und misst über den Inkonsistenz Faktor auch Logik und Qualität einer Entscheidung.
  • Analytic Network Process ANP (Saaty, Thomas). Der ANP erlaubt die Erstellung von Entscheidungnetzwerken.
  • Kosten-Nutzen-Analyse
  • Peren-Clement-Index (Peren, Franz & Clement,Reiner). Einer von zwei etablierten Indizes zur Länderrisikoanalyse, dient zur Einschätzung von Risiken bei Direktinvestionen.
  • Preis-Leistungsmodell (Grob, Lothar) eliminiert Strukturdefekte der Nutzwertanalyse wie z.B. die Konstanz des Grenznutzens, Unanhängigkeit derTeilnutzen, Dimensionslosigkeit des Zielwerts und die Globalisierung der Kriterien.
  • Quality Function Deployment QFD
  • Technique for Order Preference by Similarity to Ideal Solution TOPSIS (Hwang C. &Yoon, K.) . Bei TOPSIS wird eine Handlungsoption bewertet, indem ihr Abstand zur besten und zur schlechtesten Alternative gemessen wird.
  • VDI-Richtlinie: VDI 2225 Blatt 3, Konstruktionsmethodik – Technisch-wirtschaftliches Konstruieren – Technisch-wirtschaftliche Bewertung
  • Wertanalyse

 

Quellen

Zangemeister, Christof (1970): Nutzwertanalyse in der Systemtechnik – Eine Methodik zur multidimensionalen Bewertung und Auswahl von Projektalternativen. Dissertation. Techn. Univ. Berlin, (4. Auflage 1976, München)

 

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