Am Beispiel einer Heizungsüberwachung mit ESP8266 (einem Microcontroller) lässt sich der Forschungsprozess in der Wirtschaftsinformatik, der sich nahe am Design Science Research bewegt, darstellen. Der Beitrag zeigt zunächst den Forschungsprozess auf und leitet dann daraus ein kleines Forschungsprojekt ab.
Die hinter diesem Beitrag stammende Technik wurde im Rahmen des Projektes Biene40 entwickelt.
Stand: 26.01.2023
Forschungsprozess
Abb. 1: Visualisierung des Forschungsprozesses
Was ist Forschung?
Forschung ist der Prozess, wie Menschen methodisch an neue Erkenntnisse kommen
Auslöser für Forschung ist oft ein Problem, das auf eine Lösung wartet, oder eine Beobachtung, die erklärt werden will.
Daraus leitet sich eine handlungsleitende Fragestellung ab, die zu einer Konkretisierung eines Forschungsvorhabens führen kann (siehe Abb. 1)
Forschung an Universitäten vs. Forschung an Fachhochschulen
Forschung an Hochschulen bedeutet i.d.R. geförderte Forschung. Heißt, es gibt ein (politisches) Programm, aus dem die Forschung bezahlt wird.
Das politische Programm hat oft Einfluss auf das Forschungsziel. Aus der o.g. Fragestellung und dem Forschungsziel leiten sich im nächten Konkretisierungsschritt die Forschungsfragen ab. So fragen Universitäten, die Grundlagenforschung betreiben, „was gibt es“. Fachhochschulen, die angewandte Forschung betreiben, fragen „wie kann man es besser machen“.
Von Fragen zum Forschungsprojekt
Geübte Forscher:innen wählen nun aus dem Fachspeszifischen Methodenportfolie eine odere mehrere Methoden aus, mit denen die Fragen beantwortet werden sollen.
Ist die Finanzierung geklärt, startet ein Forschungsprojekt. Wie jedes Projekt ist auch ein Forschungsprojekt durch ein Ziel, einen zeitlichen Anfang, ein zeitliches Ende und die zur Verfügung stehenden Ressourcen bestimmt.
Im Rahmen des Forschungsprojektes kann ein Prototyp entwickelt werden (Design Science Research, gestaltungsorientierter Ansatz), es können Messungen erfolgen oder Befragungen. Messungen und Befragungen generieren Daten. Die Daten werden nach Kriterien, die sich an den Forschungsfragen orientieren, ausgewertet – das ist die Datenanalyse.
Aus der Datenanalyse und –Interpretation werden die Forschungsfragen beantwortet – das leitet die Zusammenstellung des Forschungsergebnisses ein.Ein Forschungsergebnis kann auch ein Artefakt sein: Ein Computerprogramm, ein Gerät, eine Handlungsempfehlung …
Projektergebnisse publizieren und verwerten
Damit andere von den Forschungsergebnissen profitieren können, werden die Forschungsergebnisse in einem Paper zusammengetragen und (in einem Journal) veröffentlicht. Ist das Ergebnis eine Lehre zum technischen Handeln, kann ein Patent angemeldet werden. Ist das Ergebnis ein Gerät, ist ein Patent oder ein Gebrauchsmuster möglich. Diese Schutzrechte sollen die Verwertung und den Wettbewerbsvorteil absichern.
Konkretisierung am Beispiel Energiesparen
Motivation
Die Gaskrise in 2022 hat bei vielen Menschen Fragen zur Energieversorgung, insbesondere bezüglich der Heizkosten, aufgeworfen. Auch unabhängig von der Gaskrise ist das Einsparen von Energie interessant, da hiermit die negativen Klimaveränderungen verlangsamt werden könnten.
Handlungsleitende Fragestellung
So rückt der Gasheizkessel und seine Einstellung wieder stärker in den Fokus, und aus dem Problem des stark gestiegenen Gaspreises leitet sich die Fragestellung ab: Welche Möglichkeiten haben ich, mit meiner Heizung anders umzugehen und dadurch gff. Gas und damit Heizkosten einzusparen.
Forschungsziel
Daraus leitet sich ein mögliches Forschungsziel ab: Es sollen Einstellparameter der Heizung erkannt werden, mit denen der Energieverbrauch gesenkt werden kann.
Zeitraum
Als Zeitraum ist für Messungen die kalte Jahreszeit geeignet, da dann die Heizung läuft. Zur Umsetzung von Maßnahmen ist dann folgend die warme Jahreszeit geeignet, ha hier auch etwas an der Heizung geändert werden kann, ohne das Hausbesitzer:innen kalte Füße bekommen. Zur Konkretisierung für ein Forschungsprojekt sei der Zeitraum einmal festgelegt auf 01.09.2022 bis 31.03.2023.
Forschungsfragen
Die aus der handlungsleitenden Fragestellung abgeleiteten Forschungsfragen könnten sein:
F1: Wirkt sich eine Änderung der Raumtemperatur auf den Energieverbrauch aus?
F2: Falls F1 mit einem Effekt beantwortet wird: Wie groß ist die Effektstärke, heißt, wie groß ist die Einsparung je nach Absenkung?
Forschungsmethode Design Science
Als Methode wird der gestaltungsorientierte Ansatz / Design Science Research gewählt. Der Ansatz hat sich bereits im Bienen-Digitalisierungsprojekt http://bieneviernull.de bewährt.
Konkret heißt das: Wir entwickeln ein (kostengünstiges) System (Prototyp), mit dem wir den erwarteten Effekt der Temperatursenkung messen können (siehe Topologie in Abb. 2). Aus dem Messdaten leiten wir dann im Rahmen der Datenanalyse eine Energieersparnis ab und evaluieren damit zugleich den Prototypen.
Das Forschungsergebnis kann in eine Veröffentlichung münden. Für ein Patent ist voraussichtlich die Erfindungshöhe zu gering.
Prototyp
Die Topoloie in Abb. 2 zeigt den Aufbau der Messanordung. Als Messaufnehmer wird ein Microcontroller verwendet (Zunächst kam ein Raspberry Pico, programmiert in Micro-Python, zum Einsatz. Das erwies sich als unstabil. Es folgte ein ESP8266-01S, programmiert in C mit der Arduino IDE). Am Messaufnehmer sind zwei digitale Temperatursensoren (DS18B20) angeschlossen. Die Temperaturmessungen erfolgen am Abgasrohr und am Zuleitungsrohr der Fußbodenheizung.
Die Heizung regelt die Raumtemperatur über die Vorlauftemperatur, die wiederum Außentemperatur-gesteuert ist. Das Abgasrohr ist hier ein Indikator, ob der Brenner der Heizung läuft und damit Gas verbraucht.
Die Daten werden über WLAN und den Internetanschluss an einen Webserver übertragen. Über das Internet sind die Daten auf dem Webserver abrufbar. Die Daten werden für die leichtere Interpretation visualisiert (siehe Abb. 3).
Abb. 2: Toplogie der Messanordnung mit Microcontroller, Webserver, Heizung ….
Messungen
Vorbereitung. Im Vorfeld wurde abgeschätzt, wie viel Gas die Heizung für einen Heizvorgang benötigt. Dazu wurde vor und nach dem Heizvorgang der Gaszähler abgelesen.
Intervention. Um eine Varianz in der Raumtemperatur zu erzeugen, wurde die Heizung auf Nachtabsenkung eingestellt: Von 12:00 bis 15:00, wenn mit etwas Sonneneinstrahlung zu rechnen ist, ist die Nachtabsenkung aktiv, ebenso nachts von 00:00 bis morgens 5:00.
Abb. 3 zeigt die gemessenen Daten über einen Zeitraum von 48 Stunden.
Blau ist die Vorlauftemperatur dargestellt, rot ist die Temperatur am Abgasrohr zu sehen.
Eine Messung des Gasverbrauchs kann nun einfach durch Zählen der Spitzen in der roten Kurve für einen bestimmten Zeitraum erfolgen.
Abb. 3: Visualisierung der Temperaturmessung über 48 Stunden
Interpretation der Messung
In den Messkuren sind zu beobachten:
B1: Kurze Aufheizvorgänge mit moderaten Ansstiegen der Temperatur. Das sind normale Heizvorgänge.
B2: Etwas längere Aufheizvorgänge mit größerer Temperaturerhöhung. Vermutlich hängt dies mit der Brauchwassererwärmung zusammen.
B3: Langsamer Temperaturabfall der Vorlauftemperatur in der Nachtabsenkung. Dass die Temperatur nicht schlagartig auf den niedrigeren Wert eingeregelt wird (werden kann) hängt damit zusammen, dass ein Vierwegemischer als kühlstes Medium das Wasser mit der Rücklauftemperatur zur Verfügung hat. Die Rücklauftemperatur sinkt aber erst langsam, da das Heizungswasser (und der Fußboden) eine Menge Energie gespeichert hat. Ein haus kühlt i.d.R. langsam aus.
Auswertung
Die quantitative Auswertung der Daten steht noch aus. Der Augenschein (Augenschein ist in der Forschung wichtig, daher nimmt die geschickte Visualisierung von Messdaten eine entscheidende Rolle ein) zeigt bereits, dass es in Zeiten der Nachtabsenkung weniger Aufheiz-Vorgänge und damit weniger Gasverbrauch gibt.
Für einen Aufheizvorgang – erkennbar in der Visualisierung an einem Peak in der roten Kurve – wird eine Gasmenge von 0,13855 cbm benötigt. grob geschätzt entspricht das 1,4 kWh. 1 kwH kostet derzeit (Januar 2024) bei den Stadtwerken Willich 13 Cent.
ToDo Ein mögliche quantitative Auswertung wäre: Auszählen der Aufheizvorgänge bei Nachtabsenkung, damit Berechnung des gesamten Energieverbrauchs und des durchschnittlichen Energieverbrauchs während der Zeit der Nachtabsenkung. Auszählen der Aufheiz-Vorgänge ohne Nachtabsenkung, damit Berechnung des gesamten Energieverbrauchs während der Zeit ohne Nachtabsenkung. Die Unterschiede in den mittleren Energieverbräuchen können dann in Beziehung gesetzt werden zur Temperaturabsenkung in der Nachtabsenkung. Damit hätte man eine Maßzahl in kW/°C und könnte die Gesamtkosteneinsparung für eine Heizperiode berechnen.
Kritische Reflektion
Eine kritische Reflektion des eigenen Vorgehens gehört zum Forschungsprozess.
So gilt das Messergebnis nur für ein bestimmtes Haus mit einer bestimmten Heizung. Sicherlich ist das ein Hinweis, aber kein Beweis für alle Häuser.
Weiterhin wurde nur oberflächlich geprüft, ob ein Aufheizvorgang unter allen möglihn Umweltbedingungen die gleich Gasmenge benötigt.
Es wäre zudem sinnvoll, die Messungen nach verschiednen Außentemperaturen zu differenzieren.
Somit wirft dieses kleine Forschungsprojekt mehr neue Fragen auf, als es beantwortet – das ist i.d.R. ein Indiz für ein gelungenes Forschungsprojekt.
Anhang
Vorstudie Ermittlung der Gasmenge für einen Aufheiz-Vorgang
Am 19.12.2022 wurden für eine Serie von 27 Aufheizvorgängen die Zählerstände notiert:
Vorher: 994,141 cbm, Nachher: 997,890 cbm, Differenz: 3,749 cbm.
Durch Division ergibt sich die Gasmenge für einen Aufheiz-Vorgang: 3,749 cbm / 27 = 1,3885 cbm.
Glossar
(Das Glossar wurde teilweise mit der Hilfe von chatGPT erstellt)
Microcontroller
Ein Microcontroller (oft abgeküzt auf MCU, µController oder µC) wie auf dem ESP32, dem Raspberry Pico oder dem Calliope Mini sind sehr kleine Schaltungen, die auf einem einzigen Chip aufgebracht sind und ein vollständig in sich geschlossenes System bilden (Single On Chip, SOC). Ein Microcontroller wird in vielen Alltagsgegenständen verwendet , um diese zu steuern und zu überwachen. Es ist eine Art „Gehirn“ für elektronische Geräte und enthält einen Rechner, Speicher und verschiedene Ein-/Ausgänge.
Sie sind dafür gedacht, dass sie nur ein einzelnes Programm periodisch ausführen. Sie eignen sich daher gut für vorprogrammierte, automatisierte Aufgaben, um diese in einem einzigen Szenario wiederholt auszuführen. Dies geschieht üblicherweise in einer zeitgesteuerten Schleife, die man als embedded application (dt. „eingebettete Anwendung“) bezeichnet. Demgegenüber steuern Mikroprozessoren (MPs oder CPUs) wie auf dem raspberry Pi vielseitigere und allgemeinere Anwendungen.
Internet of Things (IoT)
IoT steht für Internet of Things und bezieht sich auf die Verbindung von alltäglichen Gegenständen (wie z.B. Haushaltsgeräten, Autos, Thermostaten) mit dem Internet. Dies ermöglicht es diesen Gegenständen, Daten zu sammeln und auszutauschen und so eine intelligentere Steuerung und Überwachung zu ermöglichen. Zum Beispiel kann ein Thermostat, der mit dem Internet verbunden ist, automatisch die Raumtemperatur regeln, wenn Sie nicht zu Hause sind.